Das Ediacarium – der Beginn des höheren Lebens

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Das Edia­ca­ri­um, frü­her als Ven­dium bezeich­net, ist die jüngs­te Peri­ode des Pro­tero­zoi­kums und begann vor 635 Mil­lio­nen Jah­ren, mit dem Ende des Cryo­ge­ni­ums, und ende­te vor unge­fähr 542 Mil­lio­nen Jah­ren, mit dem Beginn des Kam­bri­ums. Berühmt ist das Edia­ca­ri­um durch die mit­un­ter recht fremd wir­ken­den Fos­si­li­en der Edia­ca­ra-Fau­na, aus den Edia­ca­ra-Hügeln in den Flin­ders Ran­ges des aus­tra­li­schen Bun­des­staa­tes South Aus­tra­lia. Der Geo­lo­ge Regi­nald Clau­de Sprigg fand dort im Jahr 1946 Abdrü­cke von Weich­tier­or­ga­nis­men, die sich vor allem an der Unter­sei­te von Quar­zit und Sand­stein­plat­ten erhal­ten hat­ten. Wei­te­re Fund­stät­ten lie­gen in Eng­land, Nami­bia, in der Regi­on des Wei­ßen Mee­res in Russ­land, in der Ukrai­ne, Neu­fund­land, im kana­di­schen Nord­west Ter­ri­to­ri­um, im Süd­wes­ten Nord­ame­ri­kas und in China.

Das Leben im Edia­ca­ri­um (Foto: By Ryan Som­ma [CC BY-SA], Flickr)

Die Edia­ca­ra-Fau­na ent­wi­ckel­te sich kurz nach dem Ende der glo­ba­len Ver­ei­sun­gen der Erde („Schnee­ball-Erde-Hypo­the­se“). Durch die Erwär­mung der Erde ging auch ein erhöh­ter Sau­er­stoff­ge­halt der Atmo­sphä­re ein­her, die för­der­lich für die Ent­wick­lung höhe­rer Lebe­we­sen gewe­sen ist. Die Edia­ca­ra-Fau­na reprä­sen­tier­te dabei ver­mut­lich die ers­ten Gewe­be­tie­re (Eume­ta­zoa) auf der Erde und besa­ßen zunächst kei­ner­lei mine­ra­li­sie­ren­der Hart­tei­le oder ein Ver­dau­ungs­trakt. Sie ernähr­ten sich ver­mut­lich durch osmo­ti­sche Dif­fu­si­on oder durch Bak­te­ri­en, die mit den Orga­nis­men in Sym­bio­se lebten.

Char­nia maso­ni Fos­sil im New Walk Muse­um in Lei­ces­ter, Eng­land (Quel­le: By Andy Din­g­ley [CC-BY-SA], Wiki­me­dia Com­mons)

Das ers­te Auf­tre­ten der ers­ten tie­ri­schen Fos­si­li­en wird in die Zeit vor 599 Mil­lio­nen Jah­ren geschätzt. In Sedi­men­ten in Neu­fund­land („Mista­ken Point“), die auf ein Alter von 575 Mil­lio­nen Jah­ren datiert wer­den, sind die ers­ten makro­sko­pi­schen Fos­si­li­en über­lie­fert, die der Edia­ca­ra-Fau­na zuge­rech­net wer­den. Vor 555 Mil­lio­nen Jah­ren tau­chen auch die ers­ten Zwei­sei­ten­tie­re (so genann­te Bila­te­ria) auf. Zum Ende des Edia­ca­ri­ums, vor 550 Mil­lio­nen Jah­ren, wur­den schließ­lich die ers­ten Orga­nis­men mit mine­ra­li­sie­ren­den Hart­tei­len nach­ge­wie­sen. Die meis­ten Arten der Edia­ca­ra-Fau­na star­ben dann zu Beginn des Kam­bri­ums aus, wobei eini­ge weni­ge Ver­tre­ter wahr­schein­lich bis ins obe­re Kam­bri­um über­lebt haben.

Ein Fos­sil der Gat­tung Dick­in­so­nia (cos­ta­ta) (Quel­le: [CC-BY-SA], Wiki­me­dia Com­mons)

Für mich per­sön­lich gehört das Edia­ca­ri­um zu den inter­es­san­tes­ten und fas­zi­nie­rends­ten Peri­oden der Erd­ge­schich­te. Nach der letz­ten gro­ßen glo­ba­len Ver­ei­sung der Erde am Ende des Cryo­ge­ni­ums vor 635 Mil­lio­nen Jah­ren (Mari­noi­sche Eis­zeit), tauch­ten sehr bald die ers­ten Tie­re auf, die wahr­schein­lich zu den pri­mi­ti­ve Vor­läu­fer der heu­te leben­den Tie­re gehö­ren. Die­se Hypo­the­se ist nicht unum­strit­ten, da die Edia­ca­ra-Fau­na so ver­schie­den von dem­je­ni­gen ist, was wir heu­te ken­nen. Durch das Vor­han­den­sein von Weich­tier­or­ga­nis­men, deren Über­res­te sich auf den Grund eines fla­chen Mee­res abge­la­ger­ten haben, geht man davon aus, dass es zu die­ser Zeit kei­ne Räu­ber-Beu­te-Bezie­hun­gen gab, weil kei­ner­lei Offen­siv- und Defen­siv­or­ga­ne bzw. Biss­spu­ren an den Fos­si­li­en nach­ge­wie­sen wur­den. Nicht ohne Grund wird die Edia­ca­ra-Fau­na als ein Para­dies der Lebe­we­sen inter­pre­tiert, wo es zwi­schen den mehr­zel­li­gen Orga­nis­men ein öko­lo­gi­sches Gleich­ge­wicht herrsch­te. Die­ser Umstand wird durch das Vor­han­den­sein zahl­rei­cher Spu­ren­fos­si­li­en aus dem Edia­ca­ri­um gestützt, die von den Palä­on­to­lo­gen als Hin­wei­se auf Krab­beln und das fla­che Durch­flü­gen des Mee­res­bo­dens nach etwas Nahr­haf­ten inter­pre­tiert werden.

Kim­be­r­el­la ist ver­mut­lich der Vor­fahr heu­te leben­der Schne­cken (Quel­le: By Alek­sey Nago­vitsyn [CC-BY-SA], Wiki­me­dia Com­mons)

Zu Beginn des Pha­nero­zoi­kums ent­wi­ckel­ten sich schließ­lich ske­lett­tra­gen­de Tie­re, die deut­lich bes­ser fos­si­li­sie­ren konn­ten, was zahl­rei­che Bele­ge aus dem Kam­bri­um bewei­sen. Inner­halb kur­zer Zeit sepa­rier­ten sich die ver­schie­de­nen Tier­stäm­me her­aus, die heut­zu­ta­ge in Form ihrer Nach­fah­ren so zahl­reich auf der Erde ver­tre­ten sind („Kam­bri­sche Radia­ti­on“). Des­halb wird nach wie vor kon­tro­vers dis­ku­tiert, ob die Tie­re der Edia­ca­ra-Fau­na die Vor­fah­ren spä­ter leben­der Tie­re sind, oder ob sie eine „evo­lu­tio­nä­re Sack­gas­se“ waren und ohne Nach­kom­men zum Ende des Pro­tero­zoi­kums hin aus­star­ben. Heu­te nimmt man aller­dings an, dass die ver­schie­de­nen Tier­stäm­me bereits im Edia­ca­ri­um vor­han­den waren und dann erst im Kam­bri­um – durch die zahl­rei­chen Fos­si­li­en­fun­de auf der Welt – sicht­bar wurden.

Tri­lo­bit Chan­gas­pis elon­ga­ta aus dem Unte­ren Kam­bri­um (521 Mio. Jahre)

Im Janu­ar 2014 erhielt ich nun end­lich mei­ne bei­den ers­ten Fos­si­li­en aus dem Edia­ca­ri­um, wobei das eine Fos­sil als Replik recht preis­wert von einem Online-Händ­ler aus den Ver­ei­nig­ten Staa­ten erwor­ben wur­de. Lei­der fin­det man Fos­si­li­en aus dem Edia­ca­ri­um recht sel­ten bei den gän­gi­gen Online-Händ­lern – und dann mit­un­ter für exor­bi­tan­ten Prei­sen. Selbst Repli­ken wer­den kaum ange­bo­ten. Die ein­zi­ge deut­sche Quel­le für Edia­ca­ra-Repli­ken (die mir bekannt ist) ist das Rhei­ni­sche Mine­ra­li­en-Kon­tor Dr. F. Krantz, wel­ches gleich ein gan­zes Set der bekann­tes­ten Fos­si­li­en aus dem Edia­ca­ri­um anbietet.

Charnia masoni (Replik)

Char­nia ist eine Gat­tung aus­ge­stor­be­ner Lebe­we­sen aus dem neo­pro­tero­zoi­schen Zeit­al­ter des Edia­ca­ri­um. Char­nia gehört zu den frühs­ten Lebe­we­sen der Edia­ca­ra-Fau­na, die nach den Edia­ca­ra Hügeln in Süd­aus­tra­li­en benannt wur­den. Die Gat­tung zählt zu den ältes­ten Makro­fos­si­li­en über­haupt und es war das ers­te Fos­sil, wel­ches in zwei­fel­los prä­kam­bri­schen Gestei­nen gefun­den wur­de. Davor ging man aus, dass es vor dem Kam­bri­um kei­ne Lebe­we­sen gab, die, auf­grund ihres nicht vor­han­de­nen fes­ten Exo­ske­letts, hät­te fos­si­li­sie­ren können.
Die sys­te­ma­ti­sche Zuord­nung von Char­nia wird immer noch kon­tro­vers dis­ku­tiert, denn obwohl Ähn­lich­kei­ten mit rezen­ten See­fe­dern bestehen, besteht ver­mut­lich kei­ne direk­te Ver­wandt­schaft zu die­ser Ord­nung. Als alter­na­ti­ve Hypo­the­se wird ange­nom­men, dass Char­nia zum aus­ge­stor­be­nen Stamm der Vendobi­on­ten gehört, wel­che als gigan­ti­sche ein­zelli­ge Orga­nis­men inter­pre­tiert werden.

Replik von Char­nia masoni

Das ers­te Exem­plar von Char­nia wur­de 1956 im Charn­wood Forest in Lei­ces­ter­shire, Eng­land von der 15-jäh­ri­gen Schü­le­rin Tina Negus gefun­den. Aller­dings erfuhr die­se Ent­de­ckung zunächst kei­ner­lei Beach­tung. Als eigent­li­cher Ent­de­cker gilt des­halb der 16-jäh­ri­ge Schü­ler Roger Mason, der nur ein Jahr spä­ter beim Berg­stei­gen im Charn­wood Forest die Über­res­te die­ses Lebe­we­sens fand. Char­nia, frü­her von der Wis­sen­schaft als eine Art Algen­gat­tung inter­pre­tiert, war ver­mut­lich ein Tier, wel­ches kei­ne inne­ren Ver­dau­ungs­or­ga­ne besaß. Es war fest im tie­fen Mee­res­bo­den ver­an­kert und fil­ter­te die Nähr­stof­fe ver­mut­lich direkt aus dem Meer­was­ser her­aus. Beson­ders augen­fäl­lig ist der frak­ta­le Auf­bau des Tiers in Form von zick-zack Seg­men­ten, die von einer zen­tra­len Ach­se aus­ge­hen. Bis­her sind drei Spe­zi­es bekannt, die zur Gat­tung Char­nia gehö­ren: Char­nia maso­ni, Char­nia war­di und Char­nia antecedens.

Info:

Char­nia maso­ni (FORD 1958)
Grö­ße: 21 cm
Fund­ort: Charn­wood Forest, Lei­ces­ter­shire, Eng­land / Mista­ken Point, Neu­fund­land, Kanada
Alter: Obe­res Edia­ca­ri­um (Ven­dium), ca. 575 bis 550 Mil­lio­nen Jahre

Nemiana simplex

Auf die­ser Plat­te sind gleich meh­re Exem­pla­re der Art Nemi­a­na sim­plex abge­bil­det. Die­ses Fund­stück gehört mit einem Alter von unge­fähr 560 Mil­lio­nen zum ältes­ten Beleg aus­ge­stor­be­ner Tie­re in mei­ner Samm­lung. Dank des welt­wei­ten Auf­tre­tens die­ser Gat­tung, wer­den Nemi­a­na-Plat­ten recht häu­fig und güns­tig als Ori­gi­na­le im Inter­net und bei Fos­si­li­en­händ­lern ange­bo­ten. So kauf­te ich das gute Stück im Janu­ar 2014 von einem pol­ni­schen Online-Händ­ler für einen sehr guten Preis.

Nemi­a­na sim­plex Fos­si­li­en auf einer Sand­stein­plat­te aus der Ukraine

Nemi­a­na ist der Name einer Gat­tung pri­mi­ti­ver ses­si­ler Orga­nis­men aus dem erd­ge­schicht­li­chen Zeit­al­ter des Edia­ca­ri­ums vor 635 bis 542 Mil­lio­nen Jah­ren. Nemi­a­na sim­plex bil­de­ten häu­fig Grup­pen und gan­ze Kolo­nien. Die Gat­tung gehört zu den häu­figs­ten Fos­si­li­en aus dem Edia­ca­ri­um und zu den am ein­fachs­ten auf­ge­bau­ten Tie­ren der Edia­ca­ra-Fau­na. Sie wer­den über­wie­gend auf der Unter­sei­te von Sand­stein­plat­ten des Wei­ßen Mee­res in Russ­land gefun­den. Wie bei nahe­zu allen For­men aus dem Edia­ca­ri­um, ist ihre genaue taxio­mi­sche Ein­ord­nung in das Reich der Tie­re sehr umstrit­ten. Ursprüng­lich zähl­te man Nemi­a­na zu den Qual­len (Coel­en­te­r­ate). Im Gegen­zug sah man in ihr auch eine Art Grün­al­ge, die ähn­li­che For­men wie die all­seits bekann­ten Stroma­to­li­then bil­de­ten. Im All­ge­mei­nen wird ange­nom­men, dass Nemi­a­na aus einem gal­lert­ar­ti­gen Sack mit inne­rer Struk­tur bestand. Wahr­schein­lich besaß die­se Art höhe­ren Lebens auch ein­fa­che Ten­ta­keln. Ver­mut­lich leb­te Nemi­a­na fest ver­an­kert, ähn­lich den heu­ti­gen See­ane­mo­nen, am Mee­res­bo­den ver­gra­ben. Nur die obe­re Hälf­te mit den Ten­ta­keln schau­te in das offe­nen Was­ser zur Nah­rungs­auf­nah­me heraus.

Info:

Nemi­a­na sim­plex (Palij 1976)
Grö­ße: 0,3 bis 1,5 cm
Fund­ort: Mogi­lev For­ma­ti­on, Bal­day Serie, Novod­nestrovs­ky Quar­ry, Podo­lia, Ukraine
Alter: Obe­res Edia­ca­ri­um (Ven­dium), ca. 560 Mil­lio­nen Jahre

Wei­ter­füh­ren­de Links:

ZEIT-Arti­kel: Im Para­dies der Luftmatratzen
Spie­gel online: Ältes­te Fuß­spur der Welt entdeckt
Spie­gel online: Geo­lo­gi­sche Zeit­ska­la bekommt Zuwachs
FAZ: Selt­sa­mes aus dem Sand
Heise.de: Am Anfang waren die Gallertartigen
Amazon.de: The Gar­den Of Edia­ca­ra: Dis­co­ve­ring The First Com­plex Life
Amazon.de: The Rise of Ani­mals: Evo­lu­ti­on and Diversification […]
Amazon.de: Der Ursprung des Lebens – Eine Zeit­rei­se zu den Anfän­gen der Evolution

Andreas

Andreas Schnabel war bis zum Ende der Astronomie-Zeitschrift "Abenteuer Astronomie" im Jahr 2018 als Kolumnist tätig und schrieb dort über die aktuell sichtbaren Kometen. Er ist Mitglied der "Vereinigung für Sternfreunde e.V.". Neben Astronomie, betreibt der Autor des Blogs auch Fotografie und zeigt diese Bilder u.a. auf Flickr.

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